Neue Spieler:innen in eine bestehende Kampagne einführen

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Es kann unweigerlich jeder Gruppe passieren: Ein oder mehrere Spieler:innen verlassen den Tisch für unbestimmte Zeit. Es kann aber auch sein, dass sich eine Gruppe schlicht dazu entscheidet, zusätzliche Spieler:innen an den Tisch zu holen. In diesem Beitrag möchte ich mich darauf konzentrieren, welche Möglichkeiten die Spielleitung hat, neue Spieler:innen in eine bestehende Kampagne zu integrieren. Sodass es sowohl für den Neuzugang, die Spielleitung und die bestehenden Spieler:innen am angenehmsten ist.

Der vorgestellte Ansatz ähnelt in seiner Struktur sehr dem Vorgehen, welches ich verwende, um eine eigene Homebrew-Kampagne zu entwerfen. Man beginnt auf einer Makro-Ebene und sobald man sich dort beginnt wohl zu fühlen, geht man weiter in’s Detail. Wer also gefallen hieran findet, könnte auch Interesse an diesem Artikel haben.

Vorgespräch

Gespräche zwischen Spielleitung und einzelnen Spieler:innen sind wichtig – egal, ob die Person neu einsteigt oder schon seit Jahren Teil der Gruppe ist. Sicherlich ist das den allermeisten auch bewusst, es schadet jedoch nicht, es nochmals zu erwähnen.

Besonders bei neuen Spieler:innen gilt es sicherzustellen, dass sie wissen, was für ein Spiel gespielt wird. Was sind Themen die angesprochen werden? Wie ist die Balance zwischen Erkundung, Kampf und Gesprächen? In welcher Weise spielen Spieler:innen ihre Charaktere – aus der Ich- oder der Beobachter-Perspektive?

Neuen Spieler:innen muss ersichtlich sein, auf was sie sich einlassen bzw. welche Lücke sie für die bestehende Gruppe füllen. Zwar kann überlegt werden, ob sich die bestehende Gruppe an einen potenziell anderen Spielstil anpasst, doch dies sollte nicht der Regelfall sein. Gerade während einer laufenden Kampagne kann das zu Komplikationen führen. Denn die Spielleitung muss in dem Fall, dass sich die Gruppe verändert, dafür sorgen, dass das, was der Gruppe bisher den Spielspaß besorgt hat, bestehen bleibt.

Darum ist es auch sehr wichtig, zuvor mit den bestehenden Spieler:innen zu sprechen, um aus ihrer Sicht zu erfahren, welche Aspekte des Spiels ihnen besonders wichtig sind. Das kann beispielsweise sein, dass eine Person konkrete Tabu-Themen hat, welche im Spiel nicht behandelt werden sollen. Oder auch dass die Gruppe sich wöchentlich treffen möchte, um die Geschichte nicht aus den Augen zu verlieren.

Wenn der Andrang für den freien Platz groß ist, hilft es diese Punkte als Handout zu formulieren und vorab an die potenziellen Neuzugänge zu verschicken. Es ist schwierig, genau zu wissen, was man sich von einer Pen & Paper – Gruppe erwartet. Wenn jedoch eine konkrete Definition schon existiert, können die allermeisten damit etwas anfangen und leichter die Entscheidung treffen, ob sie sich damit wohl fühlen.

Ping-Pong

Wenn es soweit ist und sich jemand gefunden hat, welcher in die Fußstapfen treten kann, ist das Allerschwerste erledigt. Nun kommt der wirklich spaßige Teil.

Die Ping-Pong-Technik (der Name wird Sinn machen) ist ein Ansatz der Charaktererstellung, welcher sich für mich bewährt hat, wenn es darum geht, neue Spieler:innen in eine bestehende Kampagne einzuführen, ohne sie mit zuviel Kontext und Informationen zu überfordern und zu spoilern. Das Wissen, welches die Spieler:innen besitzen, sollte möglichst synchron mit dem sein, über welches ihre Charaktere verfügen.

An meinem Spieltisch ist beispielsweise sehr wichtig, dass Meta-Gaming vermieden wird. Deswegen stellt sich an diesem Punkt die Frage, wieviel erzählt man neuen Spieler:innen über die Welt, ihre Geheimnisse, Konflikte und Kulturen? Das Ziel ist es jedenfalls, den Spieler:innen so viel Information zu geben wie nötig, aber zu wenig wie möglich. Denn niemand merkt sich endlose Zeitstränge, Götterpantheone, Geschichten und Hintergründe, wenn sie für den eigenen Charakter gänzlich irrelevant sind.

Darum gilt es zunächst auf einer Makro-Ebene zu starten und als Spielleitung neuen Spieler:innen das Wissen zu offenbaren, welches jeder Charakter in der Spielwelt besitzt. Anschließend wird der Ball zurück geworfen. Die neuen Spieler:innen soll nun darüber entscheiden, über was sie mehr erfahren möchten, welche Aspekte sie interessieren – immer unter dem Gesichtspunkt, dass aus den erhaltenen Informationen der eigene Charakter entstehen soll.

Daraufhin geht die Spielleitung weiter in’s Detail, aber nur soweit wie nötig, damit sich neue Charakteroptionen ergeben. Dieser Vorgang wird wiederholt, bis man sozusagen auf einen bestimmten Aspekt der Spielwelt „hineingezoomed“ hat, ohne alles andere beachten zu müssen. Sollten die neuen Spieler:innen im Vorhinein schon konkrete Ideen haben, an welchen Persönlichkeiten oder Themen sie Interesse hätte, umso besser. In diesem Fall muss die Spielleitung nicht auf Makro-Ebene starten, sondern kann zügiger in’s Detail gehen.

In der Praxis führt man diese Gespräche unter vier Augen. Ansonsten würden andere zu viel über die neuen Charaktere erfahren. Beispielsweise könnte dieser Austausch wie folgt ablaufen: Die Spielleitung stellt die Welt mit ihren Königreichen und Völkern vor. Die neue Spielerin entscheidet sich beispielsweise für die Elfen, weil sie ihre Rolle in der Welt interessant findet. Die Spielleitung gibt anschließend Wissen preis, über welches in der Regel alle Elfen verfügen. Vielleicht fällt der Spielerin darin ein Aspekt auf, welcher ihr besonders gefällt. Dass kann zum Beispiel die außergewöhnliche Handelsbeziehungen zwischen Elfen und Menschen sein, welche über Handelsrouten durch eine gefahrenvolle See, lebenswichtige Güter austauschen. Die Spielleitung beginnt dann dort mehr und mehr in’s Detail zu gehen. Das Ergebnis dieses Spiels könnte beispielsweise ein elfischer Seeräuber sein, welcher gezielt diese Handelsrouten überfällt.

Sollte der Fall eintreten, dass man einen Strang entlang gegangen ist und die Spielerin doch nicht mit ihrer Wahl einverstanden ist – kein Problem. Um Bezug auf den elfischen Seeräuber von zuvor zu nehmen: Auch ein Charakter, welcher kein elfischer Seeräuber ist, kann über elfische Seefahrt Bescheid wissen. Vielleicht, weil ein Elternteil gegen diese Seeräuber gekämpft hat. Eventuell wurde ein Elternteil sogar von einem getötet? Oder aus Büchern?

So kann über den Ping-Pong-Ansatz spielerisch ein Charakter erschaffen werden, der zugleich schon in die Welt integriert ist, ohne Spielende mit unnötigen Wissen zu belasten und zu spoilern. Die Rolle der Spielleitung ist auch hierbei aber das Leiten. Zwei Dinge müssen sichergestellt werden: Dass synchrone Wissen von Charakter und Spielerin und dass der neue Charakter ein guter Fit für die bestehende Gruppe ist. Bedeutet, wenn die Gruppe seit über zwanzig Sitzungen gegen ein böses Zwergenvolk kämpft, sollte der neue Charakter möglichst nicht brennender Befürworter eben dieses Zwergenvolks sein.

Fill in the Blanks

Vielleicht ist der Gedanke schon beim Lesen des vorherigen Abschnitts gekommen. Es ist natürlich utopisch, dass die Spielleitung zu jedem kleinsten Detail der Spielwelt schon Hintergründe, Charaktere und Orte ausgearbeitet hat.

Es ist sogar von Vorteil, wenn dem nicht so ist. Denn an dem Punkt, an welchem die Spielleitung an einen Punkt im Detail gerät, an welchem sie selbst noch nicht Feder angelegt hat, übergibt man das Steuer an die neue Spielerin. Mit ihr zusammen erschafft man das, was fehlt. Dadurch hat die Spielerin sofort die Chance aktiv an der Welt mitzuarbeiten – mit mehr oder weniger Einfluss der Spielleitung. Dadurch fällt der neuen Spielerin auch leichter, sich in die Welt einzufinden.

Auch sollte die Spielleitung unterscheiden zwischen Wissen der Welt, welches aktiv am Spieltisch ausgespielt wurde und dem Wissen, welches bisher nur in ihrem Kopf existiert hat. Letzteres ist faktisch nicht Realität in der Spielwelt – kann also zwangsläufig geändert werden. Sollte also der Fall eintreten, dass die neue Spielerin eine sinnvolle Idee besitzt, um die Welt zu erweitern und ihrem Charakter mehr Hintergrund zu geben und diese Idee widerspricht einer im Kopf der Spielleitung, sollte die Spielleitung davon absehen. Stattdessen sollte sich bemühen die Idee der Spielerin in die Welt zu integrieren.

Zusammen mit den Informationen aus den Ping-Pong-Spiel und den neu erschaffenen Details, lässt sich nun ein Charakter erschaffen. Dieser sollte noch nicht vielschichtig sein. Wichtig ist nur, dass der Charakter seinen Platz in der Welt hat, in ihr verankert ist und zur bestehenden Gruppe passt. Welche inneren Kämpfe, Motivationen und Sehnsüchte er hat, ist am Anfang nicht wichtig. Zum einen entsteht die Tiefe eines Charakters erst innerhalb der ersten fünf bis zehn Sitzungen. Zum anderen würde kein Charakter in der zweiten Sitzung sofort seine innersten Wünsche und Ängste mit der Gruppe teilen. Warum sich also die Mühe für etwas machen, wofür noch kein Bedarf besteht?

Thema setzen

Nach etwa den ersten fünf bis zehn Sessions entwickeln Spieler:innen ein gutes Gefühl für die Welt, ihre Konflikte und vor allem ihren eigenen Charakter. An diesem Punkt ist es an der Zeit, über das Thema des Charakters zu reden.

Dabei geht es um die Beantwortung von zwei konkreten Fragen zu der Persönlichkeit und dem Hintergrund des Charakters.

  • Wonach sehnt sich der Charakter? (Spieler:innen-Sicht)
  • Was ist das Ziel des Charakters und wie versucht er es zu erreichen? (Charakter-Sicht)

Es geht darum, einen roten Faden zu kreieren, welcher die Persönlichkeit des Charakters begründet und welchen die Spielleitung als Guide verwenden kann, um die Geschichte des Charakters weiter voran zu treiben. Beispielsweise könnte der elfische Seeräuber seine Familie für Reichtum zurückgelassen haben und kämpft seitdem mit der brennenden Frage, ob diese Entscheidung eine gute war. Welche Momente, Orte und Personen im Leben des Charakters haben ihn zu dem gemacht, was er heute ist? Die Spielleitung kann darauf aufbauen und konkrete Konflikte in Form von Orten und NPCs erschaffen, welche dieses Thema bearbeiten und die Spieler:innen zu Entscheidungen zwingt, welche die Zukunft des eigenen Charakters maßgeblich beeinflusst.

Bei der Frage nach der Sehnsucht des Charakters, betrachtet man den Charakter aus Sicht der Spielerin. Vielleicht hat die Spielerin des Seeräubers im Verlauf Sitzungen erkannt, dass ihr Charakter den Wert von Familie lernen muss, um glücklich zu werden. In wie fern, die Spielleitung diese Aufladung bestätigt oder ihr widersprechen möchte, ist ihr überlassen. Es ist nur wichtig, dass es festgelegt wird.

Bei der Frage was das Ziel des Charakters, begibt man sich die POV des Charakters. Was glaubt der Charakter, würde sein Leben erfüllen, wenn er es erreichen würde? Mit welchen Handlungen und Mitteln werden die Versuche unternommen? Es könnte beispielsweise sein, dass der Seeräuber auf der Suche nach einem versunkenen Relikt, welches ihm die Herrschaft über die See geben würde und er aus diesem Grund alle Möglichkeiten ergreift, welche ihn diesem Schatz näher bringen.

Schlusswort

Eine neue Person in eine bestehende Kampagne einzuführen ist Arbeit. Aber es ist eine Arbeit die sich lohnt und sehr viel Spaß machen kann, wenn man es richtig angeht. Von den Schritten, welche ich vorgestellt habe, müssen nicht alle in diesem Detail gemacht werden. Vielleicht reichen für deine Kampagne weniger, vielleicht benötigst du mehr. Eventuell dienen sie dir nur als Gedankenstütze für eigene Ideen. Diese Schritte lassen sich auch mit bestehenden Spielern durchführen, um ihren Charakteren eine tiefere Persönlichkeit zu geben.

In jedem Fall solltest du als Spielleitung immer darauf achten, wie es der Person dabei geht und wie du dafür sorgen kannst, dass sie sich zukünftig in der Gruppe wohl fühlt.

Bildnachweis: Iga Oliwiak 'IgsonArt', Midjourney, Kieran Yanner.