Permanente Charaktertode sind verschwendetes Potenzial

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Blutige Kämpfe bis zum Tod. Mit allerletzten Kräften besiegt der Paladin den Nachtwandler und sieht sich um. Auf wessen Kosten wurde dieser Sieg errungen? Einige seiner engsten Freunde liegen regungslos da. Sie werden niemals auf den Siegesfeiern ihre Krüge heben. Stattdessen werden sie unsterblich werden – durch die Lieder, welche von ihrem Opfer erzählen.

Permanente Charaktertode sind ein fester Bestandteil von TTRPGs. Sie können episch sein, traurig und Spieler:innen für sehr lange Zeit begleiten und inspirieren. Doch meiner Meinung nach, sollten sie nur sehr spärlich eingesetzt werden. Wenn sinnvoll und möglich, sollte eine Spielleitung sich bemühen, Wege zu finden, Charaktere zurück in das Leben zu rufen.

Im folgenden Beitrag werde ich darauf eingehen, warum ich permanente Charaktertode als eine Ausnahme betrachte. Welchen Mehrwert die Alternative bietet und wie man diese bestenfalls einsetzt.

Dabei betrachte ich dieses Thema, wie gewohnt, aus der Perspektive einer Spielleitung welche eine Homebrew-Welt leitet. Mein Ansatz findet besonders leicht Anwendung in Kampagnen, in welchen der Zugang zu Wiederbelebung sehr begrenzt ist. Sei es, weil es sich dabei um außergewöhnlich mächtige Magie handelt oder diese Art von Magie verboten ist.

Schattenseiten permanenter Charaktertode

Wenn ein Charakter das Zeitliche segnet hat das große Auswirkungen auf die Spieler:innen, die Spielleitung und die Beziehung beider Parteien zueinander.

Nimmt man an, die Spielenden entscheiden sich, eine scheinbar geeignete Quest zu erfüllen, um am Ende in einem blutigen Kampf gegen einen übermächtigen Gegner ein bis zwei Charaktere zu Grabe zu tragen. Handelt es sich dabei um Charaktere, welche die Spieler:innen schon lange begleiten, richten sich die Augen zwangsweise auf die Spielleitung. Denn ultimativ entscheidet die Spielleitung über die Schwierigkeit eines Kampfes. Das trifft besonders im Fall von Homebrew-Kampagnen zu. Die Spielleitung übernimmt immer zu einem gewissen Teil Verantwortung für Charaktertode.

Zusätzlich komm dazu, dass die Spielleitung in regelmäßigen Abständen die Sessions vorbereitet und höchstwahrscheinlich eine beträchtliche Sammlung an Ideen angehäuft hat, um den Charakter in für ihn zugeschnittene Situationen zu fordern. Diese Situationen sollten ihn zu schwierigen Entscheidungen zwingen und damit ultimativ zu einem tiefgreifenden Wandel.

Ob diese Ideen alle realistisch sind, ist fraglich. Wann die Spielleitung die Möglichkeit erhält, diese Ideen auszuprobieren, steht ebenfalls offen. Was jedoch fest steht ist, dass wenn eben dieser Charakter permanent stirbt, landet der Großteil der Ideen auf dem imaginären Müll. Das gilt nicht nur für die Spielleitung. Auch die betroffene spielende Person hatte Vorstellungen und Erwartungen an die Reise des Charakters, welche plötzlich vernichtet wurden.

Das ist nicht nur schade, es ist Verschwendung und bedeutet auch, dass sich Spielleitung und Spieler:innen nun die Mühe machen müssen, einen neuen Charakter zu entwerfen, diesen in die Welt zu integrieren und somit von vorn zu beginnen.

Es lässt sich also sagen, dass Charaktertode zu Frust führen können. In jedem Fall führen sie allerdings zu einem signifikanten Mehraufwand für die Spielleitung und Spieler:innen. Welchen wir alle natürlich vermeiden wollen.

Wendepunkt statt Endstation

Reißen alle Stricke der Spieler:innen und es bleibt ihnen keine Möglichkeit einen geliebten Charakter wiederzubeleben, entscheidet ultimativ die Spielleitung über das Schicksal. Mit der Entscheidung dem Charakter keine Chance auf eine Rückkehr zu geben, stirbt auch das dramaturgische Momentum.

Dabei hat das Momentum mit dem Todeskampf erst wirklich Energie aufgenommen. Diese Energie sollte die Spielleitung nicht verpuffen lassen, sondern sie verwandeln in einen tiefgreifenden Wandel des Charakters oder der Geschichte. Das radikale Ende eines Charakters sollte durch einen tiefgreifenden Wendepunkt ausgetauscht werden.

Denn in diesem Moment erhält die Spielleitung und die spielende Person die einzigartige Möglichkeit, den Charakter einer radikalen Veränderung zu unterziehen und ihn damit in eine völlig neue Richtung zu lenken, ohne dass es sich künstlich anfühlt.

  • Eine Rivalin bietet ihre magischen Kräfte an – im Austausch für ein zerstörerisches Artefakt, welches bisher im Besitz der Gruppe war.
  • Ein geliebter NPC bietet an, sein eigenes Leben in einem Wiederbelebungsritual zu opfern.
  • Der Verstorbene erhält die Möglichkeit sich im Jenseits zurück in die Welt der Lebenden zu kämpfen, auf Kosten von Psyche und Gesundheit.
  • Eine Gottheit bietet an, den verstorbenen Charakter wiederzubeleben, im Tausch gegen einen Eid.

Um eine Wiederbelebung bedeutsam zu machen, gilt: Alles hat seinen Preis und die Entscheidung über diesen Preis liegt bei den Spieler:innen. Damit wird nicht nur die Verantwortung eines Charaktertods direkt in die Hände der Spieler:innen gelegt, sondern handelt es sich dabei um eine wahrhaftige Entscheidung zwischen zwei Übeln. Denn will oder kann der Preis nicht bezahlt werden, muss der permanente Tod eine mögliche Realität bleiben.

Wechselbeziehung von Charakter und Spiel

Der Einfluss auf die Spielmechanik, wie Klasse und Volk sind dabei die mächtigsten Werkzeuge der Spielleitung.

In traditioneller Prosa gibt es die Einteilung von Charakter und Handlung. Etliche Diskussionen versuchen zu entscheiden, welcher von beiden Aspekten wichtiger für eine Geschichte ist. Robert McKee gibt in seinem Buch Story eine versöhnliche Antwort.

Laut McKee ist keines von beidem wichtiger, weil sie sich gegenseitig definieren. Bedeutet, dass die grundlegenden Eigenschaften eines Charakters seine Handlungen in der Geschichte bestimmen. Sein Handeln wiederum erzeugt bedeutsame Wendepunkte, welche die Eigenschaften des Charakters verändern.

Im diesem Fall, übernehmen Spieler:innen das Handeln ihres Charakters. Folglich ist es naheliegend, dass bedeutsame Wendepunkte und Charakterentwicklungen sich in einer Veränderung der zugrundeliegenden Spielmechaniken deutlich machen.

Diese Wechselwirkung ist beidseitig. Tauschen wir beispielsweise Mechaniken aus, ohne den Charakter anzupassen, würde der spielenden Person die Möglichkeit genommen werden, bestimmte Charakterzüge in Handlungen zu übersetzen.

Charakterliche Entwicklung und Spielmechanik sind eng miteinander verknüpft. Verändert sich das eine, sollte das andere möglichst folgen. Stirbt ein Charakter und findet durch ein tiefgreifendes Erlebnis zurück in das Leben, ist das eine bedeutsame Erfahrung und sollte in eine Spielmechanik übersetzt werden.

Zusammenarbeit mit Spieler:innen

Die Summe der Teile ist, dass die Entscheidungen der Spieler:in sich in ihrem Charakter manifestieren und damit zu einem handfesten Beweis für die Konsequenzen in der Welt werden. Was möchten Spieler:innen mehr?

Dass der eigene Charakter eine Ansammlungen von Zeugnissen ist, für die Entscheidungen der letzten Wochen, Monate oder sogar Jahre, ist nicht nur ungemein belohnend, es macht darüber hinaus den Charakter einzigartig.

Wegen dieser engen Bindung, sollte bei der Gestaltung des Wendepunkts ganz auf die Bedürfnisse der betroffenen Spieler:in geachtet werden. Hat die Person schon einmal geäußert, welche Entwicklung sie für ihren Charakter interessant wären? Was war der bisherige der rote Faden, welchen man nun gezielt wenden kann? Im Zweifel lohnt es sich, bewusst nachzufragen, ob die Person an einem solchen Wandel interessiert ist.

Je tiefgreifender der angestrebte Wendepunkt, desto besser ist es, eng mit der Person zusammenzuarbeiten. Es kann natürlich auch der Fall eintreffen, dass Spieler:in oder Charakter gar nicht möchten, dass die Reise weitergeht. Die Spielleitung muss sich an diesem Punkt entscheiden, entweder genügend Optionen für den Wendepunkt bereit zu stellen oder mit der betroffenen Person zusammenzuarbeiten.

Fazit

Charaktertode sollten nur in Ausnahmefällen eine Endstation sein. Stattdessen bringt ein Wendepunkt in Form einer bedeutsamen Wiederbelebung die einzigartige Chance für Spieler:innen und Spielleitung den Charakter einer radikalen Veränderung zu unterziehen, ohne das Narrativ zu brechen.

Das spart nicht nur Nerven, Schweiß und Tränen, sondern ist ungemein spannend und schafft Geschichten für die Ewigkeit.

Bildnachweis: Enora Mercier, Stefan Koidl, Jeon Tae Kang.