Mehr Rücksichtnahme und Respekt in deiner Pen&Paper-Gruppe

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Vor einigen Wochen durfte ich Teil ein paar weniger Playtests des Systems Pagan Pacts sein. Auf der offiziellen itch.io-Seite wird das System wie folgt beschrieben:

Quick and easy to learn System for a Viking Fantasy experience. Explore the mystical island of Saare, where the spirits of nature have reclaimed their rightful land and humans are confined to small communities.

itch.io Pagan Pacts

Das System hat mir sehr gefallen. Die Regeln sind einfach verständlich, schnell umzusetzen, Charaktere zügig erstellt. Abenteuer in Pagan Pacts leben von den Entscheidungen, welche die Spieler:innen treffen. Das mögen sich viele Systeme zwar auf die Fahne schreiben, doch Pagan Pacts schafft es, diesen Vorsatz in den Regeln zu verankern, indem für gelungene Entscheidungen sogenannte Boosts vergeben werden, welche Spielende in Zukunft beliebig einsetzen können, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Damit kann die Spielleitung nicht nur bestimmte Spielweisen gezielt belohnen und damit das Abenteuer lenken, sondern haben Spielende das Gefühl ihres Glückes Schmied zu sein.

Doch um Pagan Pacts, so vielversprechend es ist, soll es in diesem Beitrag nicht gehen. Ich wollte es nur erwähnen, da ich im Verlauf der Platytests mit einer Methodik vertraut gemacht wurde, um für mehr Rücksichtnahme, Empathie und Respekt zwischen Spielenden zu sorgen. Die Methodik wurde mir vorgestellt unter dem Begriff „Befindlichkeitsrunde“.

Was ist das?

Die Befindlichkeitsrunde ist etwas, was ich jeder Gruppe von Spielenden empfehlen würde, vor einer gemeinsamen Session durchzuführen. Dabei handelt es sich lediglich um eine Konzept, sich über den gegenseitigen Gefühlstatus auszutauschen.

Reihum, beginnend bei einer zufälligen Person oder, wer auch immer sich bereit erklärt zu starten, nimmt man sich ein wenig Zeit, den anderen Spielenden zu erklären, wie man sich fühlt. Von allen anderen Personen wird erwartet, aufmerksam zuzuhören.

Wie sehr man damit in’s Detail geht, oder ob man überhaupt etwas sagen möchte, ist jeder Person selbst überlassen. Manchmal reicht ein einfaches: „Die Woche war sehr anstrengend, aber freue mich riesig auf die heutige Session.“ oder auch nur ein „Mir geht es heute nicht so gut.“. Es ist auch vollkommen in Ordnung, zu passen. Auch das gibt den anderen ein klares Signal.

Auf Nachfragen muss nicht geantwortet werden, wenn man nicht dazu bereit ist. Niemand wird zu etwas gezwungen. Die Tatsache, dass man sich versammelt hat und die nächsten Stunden seiner Zeit opfert, sagt schon viel über die Erwartungshaltung der Personen aus. Alle möchten sich bereitwillig in ein fantasievolles Abenteuer stürzen und eine gute Zeit haben. Die Befindlichkeitsrunde gibt allerdings zusätzlich den Kontext, in welchem die Spielenden sich an den Tisch gesetzt haben. Eine Person, welche preis gibt, dass die letzten Tage schwer waren, möchte mit hoher Wahrscheinlichkeit in dem folgenden Abenteuer ein wenig dem Alltag entfliehen und wünscht sich ein paar Erfolgserlebnisse. Mit der Befindlichkeitsrunde wird somit deutlich, warum die Spielenden sich dem Abenteuer stellen und was sie sich davon für ihr eigenes Befinden erwarten.

Wie gehe ich damit um?

Wie kann ich als spielende Person oder als Spielleitung mit der Befindlichkeitsrunde umgehen? Wenn es mir selbst nicht gut geht, dann ist es förderlich, dieses Empfinden mit den anderen Spielenden zu teilen. Die alleinige Information, über den Gemütszustand ist dabei schon 95% der Arbeit, denn das gibt allen anderen genügend Informationen, um ihr eigenes Verhalten daran anzupassen.

Wenn du dich in der Situation wiederfindest, die Person zu sein, der es emotional am besten geht, kannst du anderen dabei helfen, in der folgenden Session eine schöne Zeit zu erleben. Das ist nicht belohnend, sondern macht in den allermeisten Fällen sehr viel Spaß. Folgende Liste, soll dabei als Inspiration dienen:

  • Hilf‘ Charakteren dabei ihre Ziele zu erreichen, auch wenn du dabei vielleicht etwas einstecken musst.
  • Verschaffe anderen Charakteren Spotlight-Momente, in welchen sie die Helden der Geschichte sind.
  • Wende Konsequenzen von negative Würfelergebnisse von den Charakteren ab, indem dein Charakter die Konsequenzen trägt oder sie abfedert.
  • Hilf‘ außerhalb des Spiels dabei die Spieler:innen in negativen Momenten zu unterstützen.
  • Teile deine Beute mit anderen Charakteren. Vielleicht würden sie sich über ein paar extra Gold oder einen besonderen magischen Gegenstand freuen.
  • Als Spielleitung kann man auch schlicht von harten Konsequenzen absehen, wenn die betreffende Person schon im realen Leben mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat.

Allgemein können diese Punkte zusammengefasst werden als: Lass etwas mehr Meta-Gaming zu, als gewohnt, um dafür zu sorgen, dass es anderen besser geht.

Was bringt mir das?

Denn das Ganze hat mehrere Vorteile. Die Kultur der Spielgruppe wird gestärkt. Alle Spielenden fühlen sich wohler – kehren somit eher an den Spieltisch zurück. Und darüber hinaus, wird die Empathie der Gruppe unterstützt. Denn ohne unbedingt über seine realen, privaten Probleme sprechen zu müssen, unterstützt man sich gegenseitig emotional auf einer spielerischen Ebene.

Doch ist nicht alles gold was glänzt. Befindlichkeitsrunden sind ein schönes Werkzeug für Gruppen ihre gegenseitige Verbindung als Spielende zu stärken – aber auch, sie auf die Probe zu stellen. Denn es braucht allein Mut vor anderen zuzugeben, dass man sich schlecht fühlt. Sich emotional zu öffnen, macht einen verwundbar. Mit den falschen Personen am Tisch, kann es hier zu Enttäuschungen kommen oder sogar verletzend werden.

Sollte es dazu kommen, dass Spielende Befindlichkeitsrunden für ihren eigenen Vorteil nutzen, indem sie die andere manipulieren oder dass sie keinen Effekt zeigen und Spielende wissentlich den emotionalen Zustand anderer ignorieren, ist das zwar schade, doch auch erkenntnisreich. An diesem Zeitpunkt sind die Masken gefallen und man ist sich sicher, mit was für Personen man am Tisch sitzt und kann daraus seine eigenen Konsequenzen ziehen – allein oder als Gruppe.


Ich kann jeder Gruppe, welche plant, sich einer emotionalen und rollenspiellastigen Kampagnen zu stellen, empfehlen Befindlichkeitsrunden vor jeder einzelnen Session abzuhalten – auch der Session Zero. Je früher dieses Werkzeug verwendet wird, desto eher erkennt man, ob eine Gruppe bereit ist bzw. die Spielenden geeignet sind, sich gemeinsam emotionalen Situationen zu öffnen. Die zugrundeliegende Kultur einer Gruppe kennen zu lernen, kann beängstigend sein. Doch birgt es auch die Chance, ohne viel Aufwand Gewissheit zu erlangen, dass man mit Personen an einem Tisch sitzt, bei denen man ganz man selbst sein kann.

Bildnachweis: Midjourney.