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Spielleitungs-Burnout überwinden

Wenn die Ideen ausbleiben

7 Minuten Lesezeit

Manchmal passiert es: Die Inspiration bleibt aus. Es fällt einem schwer, sich in die Welt und ihre Charaktere hineinzuversetzen. Das innere Feuer ist erloschen.

Ich spreche von Spielleitung-Burnout – so wie wahrscheinlich jede SL es an irgendeinem Punkt erlebt hat oder noch erleben wird. Um meine persönliche Krise zu überwinden, habe ich versucht das Phänomen in seine Einzelteile zu zerlegen und es so in den Griff zu bekommen. Meine Erkenntnisse möchte ich in diesem Beitrag teilen.

Der ewige Sumpf

Zugegeben, wenn ich zuvor Beiträge auf Reddit zu dem Thema gelesen habe, dachte ich, dass mir das niemals passieren kann. Ich dachte:

Ich leite seit über vier Jahren diese Homebrew-Kampagne, es hat immer irgendwie funktioniert.

Ich fühle mich in meiner Rolle als SL wohler, als in jeder Minute als Spieler. Dass ich irgendwann keine Ideen mehr haben könnte, kann ich mir nicht vorstellen.

Die Begeisterung und das große Engagement meiner Spieler:innen hat mich bisher über jedes temporäre Tief getragen und wird es auch immer tun.

Doch irgendwann stand ich vor einer massiven, kreativen Blockade – unüberwindbar und unsagbar einschüchternd. Wo ich sonst nur in mich reinhören musste, um neue Inspiration zu finden, blieb das Echo aus. Als Antwort kam lediglich eine lähmende Leere. Ob ich wollte oder nicht, ich entwickelte eine emotionale Distanz zu der Welt, den Charakteren und dem Spiel an sich. Im verzweifelten Kampf gegen diese ungewollte Veränderung tauschte die bekannte schöpferische Leichtigkeit Platz mit einem Gefühl als wate man durch einen hüfthohen stinkenden Sumpf aus Frustration und Mittelmäßigkeit. Dazu gesellte sich die Angst, alle würden schon bald bemerken, wie man seine letzten Trümpfe ausspielt, die letzten Tricks aus dem Ärmel schüttelt, bis man schließlich nackt dasteht und nichts mehr zu bieten hat.

Vielleicht gerade weil ich die Erfahrungsberichte anderer SLs lesen durfte, hab ich das Schlimmste verhindern können. Denn mir war bewusst, dass wenn ich mir weiterhin einrede, dass ich mich nur durch ein kurzes Tief kämpfe und ohne eine Veränderung schon bald wieder festen Boden unter den Füßen habe werde, würde ich unsere gemeinsame Reise mit mir in den Abgrund reißen. Und damit auch die unglaublich rührende Vorstellung von einem grandiosen und spektakulären Finale, welches uns ein Leben lang begleiten wird.

Wie bei so vielen Dingen, war der erste Schritt zu akzeptieren, was gerade passiert – zu wissen, dass es an der Zeit ist, etwas zu unternehmen.

Die Eckpunkte der Krise

An dieser Stelle möchte ich nur für mich sprechen und was mich persönlich in diese Situation gebracht hat. Listen von Gründen, die zu einem SL-Burnout führen können, lassen sich massenhaft im Internet finden. Da Code&Dragons ein persönlicher Blog ist und ich über meine eigene Erfahrung berichten möchte, folgt auch ausschließlich meine subjektive Wahrnehmung, was mich in diese Misere gebracht hat.

Die erlöschende Flamme.

Meiner Meinung nach brennt in jedem von uns ein kreatives Feuer. Ohne Ausnahme. Die sagenumwobene Kreativität setzt sich zusammen aus der Kraft dieses Feuers und unserer Fähigkeit es zu kontrollieren.

Ich habe mich zu lange und zu rücksichtslos an meinem Feuer bedient und dadurch nicht bemerkt, dass ich Holz nachlegen muss. Veränderungen im Privaten sorgten für straffere Zeitpläne. Andere kreative Projekte zehrten zusätzliche Energie. Der Fokus der Story in unserer Kampagne wurde immer stärker. Ich konnte noch so geschickt meine Werkzeuge anwenden, um mich als Schöpfer zu inszenieren. Wenn keine Glut da ist, bleibt das Eisen kalt und der Hammer liegen.

Ich musste mir wieder Zeit nehmen Inspiration zu finden – Fantasy-Bücher und historische Romane lesen. Filme sehen. Neue Musik für meine D&D-Playlisten suchen. Mir Actual-Plays ansehen und so wieder etwas in die Rolle der Spieler:innen finden. Besonders letzteres hat überraschend viel geholfen, da man als SL dazu neigt, nach einiger Zeit die Spieler:innen-Sicht vollkommen zu verlieren.

Auch musste ich für eine gewisse Zeit alle anderen kreativen Projekte pausieren und mich schlicht regenerieren.

Rückwirkend kann ich sagen, dass es sich nicht nur gelohnt hat, sondern sich auch überraschend erfrischend angefühlt hat für ca. sechs Wochen nicht an D&D oder andere kreativen Projekte zu denken.

Dennoch habe ich daraus mitgenommen, dass ich mich in Zukunft mehr um meine innere Flamme kümmern muss, indem ich Kreatives konsumiere und mir dafür auch bewusst Zeit nehme.

Die Tür schließen.

Über vier Jahre lang leite ich unser Homebrew-Abenteuer. Der letzte Stand ist, dass ich 1000+ Textdokumente dazu angelegt habe. Diese Reise zu entwickelt und zu inszenieren hat sich immer fantastisch angefühlt. Die Leidenschaft an dieser Arbeit habe ich mir meist aus der Freude am Unbekannten gezogen, der Nebel der die nächsten 50+ Episoden dieses gemeinsamen Abenteuers im Verborgenen hält, war auch für mich sehr aufregend und hat eine beflügelnde Freiheit geboten.

Nun nähern sich die Charaktere Stufe 15. Die größten Bedrohungen der Welt sind offenbart. Der Pfad ist weitestgehend gesetzt und in Stein gemeißelt. Der Horizont ist klarer denn je, denn der Nebel hat sich fast vollständig aufgelöst. Für mich als SL ist ab diesem Zeitpunkt die Zukunft der Welt und der Charaktere immer absehbarer. Langsam transformiert sich meine Rolle des Schöpfers von unbekannten Welten zu einem Logistiker, der sich darum kümmern muss, nun alle geschaffenen Puzzleteile zu einem Ganzen zu vereinen. Eine völlig andere Aufgabe.

Man könnte diesen Umstand ignorieren und ungeachtet dessen die Welt mit noch mehr aufregenden Orten, Charakteren, Monstern und Gefahren ausbauen. Doch meiner Meinung nach ist genau das der Fehler, welcher viele bekannte Fantasie-Universen letztendlich um ihr befriedigendes Ende gebracht hat – ein grelles Finale, welches aber kaum mehr etwas mit der eigentlichen Geschichte zu tun hat. Ein Blitzgewitter aus neuen Eindrücken ist immerhin leichter zu erschaffen, als die vielen vorhandenen Fäden zu einem zufriedenstellenden Finale zu vereinen. Doch das viele Neue nimmt den Fokus von den Spieler:innen und ihnen Charakteren. Und sollte es denn nicht im letzten Kapitel ganz um sie gehen?

Ich musste auch hier akzeptieren, dass sich meine Aufgabe verändert hatte. Wir spielen zwar noch das selbe Spiel, doch mein Fokus als SL ist nun ein anderer. Nicht mehr nur kreativ, sondern auch sehr analytisch und methodisch und berechnend. Die Frage ist jetzt nicht mehr, wie ich eine Welt erschaffen kann, die für die Spieler:innen interessant und aufregend ist. Die Frage ist, wie schaffe ich es, ihren Charakteren in der verbleibenden Zeit ein erinnerungswürdiges Finale zu bereiten.

Den Spaß an der Sache.

Die Ironie ist, dass mit dem sich verändernden Fokus auf einen eher methodischen Umgang mit der Kampagne und der Charaktere auch die Leichtigkeit verloren geht. Ich hatte immer öfter konkrete Szenen im Kopf, welche die Geschichte vorantreiben sollten und habe versucht die Spieler:innen von Punkt zu Punkt zu leiten. Immer mit dem Hintergedanken, dass alle diese mühselig inszenierten Szenen auf das Konto eines potenziellen, epischen Finales einzahlen. Mit der Hoffnung, irgendwann dieses Konto plündern zu können und mit Glücksgefühlen überwältigt zu werden. Klappte eine dieser Inszenierungen mal nicht, war der Frust groß.

Doch geht es in D&D nicht eigentlich um das Unbekannte? Das Improvisieren? Die Reise in das Nichts? Das gemeinsame Geschichtenerzählen? Wie sollte ich mein Vorhaben, die Fäden zusammenzuführen, mit dem Ziel, meine Vision dieser Reise umzusetzen, kombinieren? Gerade das schnelle adaptieren auf die zahlreichen Impulse der Spieler:innen hat die Entstehung einige der besten Momente bewirkt.

In der Dramaturgie gilt, dass ein großer Garant für Spaß das Element der Überraschung ist. Nimmt sich eine SL die Möglichkeit für Überraschungen, macht sie sich damit selbst unglücklich.

Will ich also weiterhin Spaß an der Sache haben, ist es meine Aufgabe als SL in meiner Situation mich auch weiterhin auf Überraschungen nicht nur einzulassen, sondern Freiraum zu geben, dass diese natürlich entstehen können.

Die Natur der Spielleitung

Aus diesen drei Punkten entsteht ein außergewöhnlicher Konflikt. Ich muss meine eigene kreative Freiheit mit Methodik eingrenzen, um bedeutende Situationen zu schaffen, darf aber nicht das Element der Überraschung über Bord werfen, da dann das Spiel selbst seinen Reiz verliert.

Ich habe lange darüber nachgedacht, wie man dieses Problem in der Theorie angehen kann. Nach einigen Wochen bin ich an der Annahme angelangt, dass diese Reibung zwischen Kreativität und Methodik gerade das ist, was die Rolle der SL ausmacht. Dass es sich hierbei um ein ewiges Kräftemessen handelt, was sich zwar verlagern kann, aber erst endet, wenn die letzte Session gespielt und der letzte Würfel geworfen wurde.

Vielleicht ist dieser Umstand auch dafür verantwortlich, dass die Allgemeinheit die Rolle der Spielleitung mit einem grundlegenden Stress verbindet. Als müsste in seinen Entscheidungen man hart und weich zugleich sein. Hart, um der Geschichte eine Richtung zu geben und sie buchstäblich zu leiten. Weich, um die Natur des Spiels und den Spaß zu bewahren.


Diese Gedanken sind noch nicht abgeschlossen. Ich habe durch diese kleine Krise viel gelernt über das Spielleiten. Gefühlt wurde das Thema für mich noch vielfältiger und größer, nachdem ich zuvor dachte, alles gesehen zu haben.

Doch es ist aufregend und ich bin auch irgendwie froh darüber, dass es mich etwas kalt erwischt hat. Es gibt also noch einiges zu lernen und zu entdecken, wenn es um das Leiten angeht. Und das ist grundsätzlich etwas positives.