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Erkundung ohne Grenzen

Reisen durch Burgen, Dungeons und Landschaften lebendig leiten

7 Minuten Lesezeit

Die Charaktere haben ein Ziel. Zwischen ihnen und dem Ziel ist ein weiter Weg oder vielleicht wissen sie nicht einmal, wo genau sich ihr Ziel befindet. Die Aufgabe der SL ist es, diese Reise aufregend und bedeutungsvoll zu gestalten. Eine wirklich nicht leichte Aufgabe.

In den Weiten des Internets findet man zu diesem Thema viele Lösungsansätze. Ich möchte in diesem Beitrag erklären, wie ich dieses Problem angehe. Natürlich (wie immer) mit dem gewohnten Fokus auf immersives Storytelling.

Der Weg ist das Ziel

Egal ob es sich dabei um eine Reise durch eine riesige Stadt, einen ungezähmten Landstrich, Dungeon oder verwinkelte Festung handelt. Für die Charaktere in der Spielwelt ist in den allermeisten Fällen das Ziel – das Ziel. Irgendein Objekt, ein Ort oder eine Person will gefunden werden. Wichtig zu verstehen ist, dass häufig nicht das selbe für die Spieler:innen am Tisch gilt.

Mit der Entscheidung, die Reise auszuspielen, wird auf der Metaebene der Weg zum Ziel – es entsteht sozusagen die Erwartung, dass der Weg gepflastert ist mit aufregende Szenen, Entscheidungen, Begegnungen und/oder Kämpfen.

Es kann demnach eine kleine Reibung zwischen der Motivation des Charakters und der Motivation der spielenden Person bestehen, welche meiner Meinung nach der Grund ist, warum sich solche Episoden häufig "off" anfühlen.

Auf der Gegenseite wird es für die Spielleitung zum Ziel, so viele bedeutende Entscheidungen zu ermöglichen, wie notwendig, damit sowohl Spieler:innen als auch ihre Charaktere die Reise als aufregend und bedeutend erleben.

Falsches Vorbild

Ich möchte kurz über Dungeon-Crawls reden, welche häufig in Published-Adventures und anderen Source-Materials für D&D als goldener Standard angesehen werden.

Im Blick auf immersives Storytelling und auch Min-Max Geschnetzel, bin ich persönlich gar kein Freund von Dungeon-Crawls und der Spielweise eine zusammenhängende Umgebung wie in einem Videospiel langsam aufzudecken.

Dafür habe ich folgende Gründe:

Unnatürliche Umgebungen und viel Arbeit.

Wenn wir als SL bspw. ein gigantisches Schloss in unser Abenteuer einbauen wollen, hat das meist sehr konkrete Gründe. Vielleicht müssen die Spieler:innen ein gestohlenes Artefakt zurückerobern?

Wir brauchen also eine Art Schatzkammer mit Sicherheitsvorkehrungen. Wachposten warten in der Umgebung und in ihrer Stube. Ein Schloss hat doch einen Thronsaal, oder? Schlafgemächer und eine Küche sind auch wichtig... und dann wird es vielleicht schon dünn. Was für bedeutende Räume lassen sich noch in Schlössern finden und wie sind diese logisch verbunden?

Hat man einmal angefangen sich ein konkretes, zusammenhängendes Layout einer Umgebung auszudenken, wird einem schnell bewusst, dass man wenig Ahnung vom Burgenbau, Geologie, Stadtplanung und/oder Drachenhort-Design (?) hat. Die ganzen Lücken zwischen den interessanten Orten müssen schließlich gefüllt werden. Hält man dann an dem Vorhaben entschieden fest, entstehen mit viel Aufwand uninformierte, unnatürliche Umgebungen, die meist durch die Größe und das Formats eines DIN A4 Blatts beschränkt werden.

Manche SLs mögen besonders begabt sein und in einer Welle der Inspiration eine Unmenge an interessanten Orten und Begegnungen erschaffen und damit eine Karte füllen. Doch auch das erschafft keine natürliche, immersive Umgebung. Unsere Welt ist nicht bis in jede Ecke mit Spannung und Abenteuer gefüllt. Das Gegenteil ist der Fall.

Nur der Vollständigkeit willen, wird die Umgebung mit uninteressanten Orten und Interaktionen aufgebläht, welchen die Spieler:innen zwangsläufig begegnen werden – wie im nächsten Punkt deutlich wird.

Die Neugierde der Spieler:innen wird ihnen zum Verhängnis.

Beschreibt die SL den Spieler:innen ein konkretes Layout oder schlimmer noch, legt sie ihnen eine detaillierte Karte vor die Nase, lädt all das verständlicherweise dazu ein, jeden einzelnen Raum und noch so kleine Besenkammer zu erkunden. In der Angst etwas zu verpassen, weicht die aufregende Ungewissheit des Entdeckens dem Gefühl sich an einer ToDo-Liste abzuarbeiten.

In Kombination mit dem ersten Kritikpunkt führt da dazu, dass die Spieler:innen sich nicht primär mit den spannenden Orten beschäftigen können, welche die Geschichte vorantreiben oder einen wirkungsvollen Einfluss auf den Verlauf der Session haben, sondern mit dem Füllmaterial, was eigentlich nur da ist, um die Umgebung natürlicher wirken zu lassen.

Entscheiden sich die Spieler:innen ab irgendeinem Punkt Räume und unerforschte Flecken auf der imaginären oder analogen Karte zu ignorieren, fühlt auch das sich nicht gut an, sondern mindert den Spielspaß deutlich.

Dungeon-Crawls büßen das Geheimnisvolle dadurch ein, dass sie eine Karte füllen müssen und damit wenig Platz für Improvisation und Fantasie lassen. Es wirkt an diesem Punkt alles etwas paradox. Doch es gibt eine Lösung, wie wir jetzt sehen werden.

Weniger ist Mehr

Beim Erkunden und Entdecken geht es um Überraschungen. Sich an einzelnen markanten Punkten zu orientieren und das Unbekannte dazwischen mit seiner Fantasie auszufüllen. Das Entdecken beinhaltet auch, dass sowohl Spieler:innen als auch Charaktere desorientiert sein können und nicht immer ein Gefühl für ihrer Umgebung haben. Jeder der im echten Leben schon einmal eine unbekannte Stadt erkundet oder länger Wandern war, weiß, wovon ich rede.

Wir wollen, dass die Spieler:innen

  • viele bedeutende Entscheidungen treffen
  • wenigen uninteressanten Orten begegnen
  • dem Risiko ausgesetzt sind, zu scheitern
  • das Gefühl bekommen die Umgebung zu erkunden

Um das zu erreichen braucht es relativ wenig.

Inhalte.

Jede Umgebung wird zumindest definiert über folgende Inhalte:

  • Zufallstabelle an Wegpunkten (10-20 Stück)
  • Liste an Showdowns (1-3 Stück)
  • Zielpunkt

Optional sind:

  • Liste an regionalen Effekten
  • Zufallstabelle/Zeitstrahl an regionalen Ereignissen

Die Umgebung erkunden.

Die Charaktere bewegen sich solange zwischen den Wegpunkten und Showdowns, bis sie entweder an ihr Ziel gelangen, abbrechen und der Umgebung entkommen oder sterben.

Entschieden, ob und wie sie an ihr Ziel gelangen, wird anhand von Gruppen-Weisheits-Würfen auf Überleben (Survival). Hat mindestens die Hälfte der Gruppe den Wurf geschafft, gilt das als Erfolg.

Der Schwierigkeitsgrad des Wurfs wird von der SL zuvor der Umgebung entsprechend festgelegt und kann je nach Umständen erleichtert oder erschwert werden. Bspw. wenn die Charaktere über eine Karte verfügen oder einen Ortskundigen bei sich haben.

Das Ziel der Gruppe ist es eine bestimmte Anzahl an Erfolgen zu sammeln, um ihr Ziel zu erreichen. Bei einer bestimmten Anzahl an Misserfolgen laufen sie in einen Showdown, der sie besonders hart auf die Probe stellt.

Hat die Gruppe noch nicht die erforderliche Anzahl an Erfolgen gesammelt, würfelt der führende Charakter auf die Zufallstabelle der Wegpunkte, um zu ermitteln, wem oder was sie begegnen. Anschließend kann die Gruppe entscheiden, die Umgebung über die bekannten Wegpunkte zu verlassen, oder einen neuen Versuch zu starten.

So kann es dazu kommen, dass sie mit guter Kenntnis und etwas Glück auf direktem Weg zu ihrem Ziel gelangen oder dass sie nach etlichen Rückschlägen und harten Kämpfen sich zurückziehen müssen.

Die Erkundung leiten.

Um ein Gefühl für Zeit und Distanz der Umgebung zu geben, sollte die SL kommunizieren, wie viel Zeit zwischen jedem Wegpunkt verstreicht. Das ist besonders spannend, wenn die Gruppe unter Zeitdruck steht und es eilig hat.

Wegpunkte können soziale Encounter sein, Kämpfe, Fallen, Naturereignisse, Orte in der Größe eines kleinen Schreins oder eines ganzen Klosters. Es hängt alles von dem Ausmaß der Umgebung ab und was für eine Geschichte die SL erzählen möchte.

Will die SL zB. ein kriegsversehrtes Land zeigen, könnten ein Wegpunkt die Trümmer einer geplünderten Karawane sein, an der sich Ghule gütig tun oder der Außenposten einer Späher-Einheit. Ein Wegpunkt kann auch einfach nur eine Beschreibung der Umgebung sein, wie eine Art Cut-Scene, um die Atmosphäre zu unterstreichen. Wichtig ist nur, dass es sich nicht ausschließlich um eine Art handelt, sondern sie vielfältig sind.

Showdowns sind nichts anders als besonders harte oder bedeutende Wegpunkte, welche den Verlauf und/oder Ausgang der Reise maßgeblich beeinflussen, indem sie die Gruppe auf die Probe stellen. Sie werden nicht zur allgemeinen Liste der Wegpunkte hinzugezählt, da sie nur zum Einsatz kommen, wenn die Gruppe eine bestimmte Anzahl an Fehlschlägen bei der Navigation gesammelt hat. Um am vorherigen Beispiel anzuknüpfen: Ein Showdown könnte sein, dass sie von einer überwältigenden Horde feindlicher Marodeure überfallen werden, welche versucht die Gruppe gefangen zu nehmen, um sie als Sklaven zu verkaufen.

Im Vergleich zum Ziel der Gruppe, stellen Showdowns potenzielle dunkle Enden ihrer Reise dar.

Das System erweitern.

Regionale Effekte können dafür sorgen, dass sich das Erkunden grundlegend anders und besonders anfühlt. Vielleicht können die regionalen Effekte noch über Entscheidungen an den Wegpunkten beeinflusst werden. Bspw. liegt vielleicht der Fluch eines verärgerten Naturgeistes über dem Land, der das Wirken von Magie erschwert. Die Gruppe könnte die Gelegenheit bekommen, bei einem Schrein Opfer darzubieten, um den Effekt für sie aufzuheben.

Ähnliches lässt sich die Reise mit regionalen Ereignissen aufwerten. Das einfachste Beispiel wäre eine Wetterveränderung. Diese können zufällig passieren, indem die SL regelmäßig auf eine Tabelle würfelt oder geplant, bspw. indem die SL festlegt, dass nach 2 Stunden Reisezeit das Ereignis eintritt.

Allgemein lässt sich das Konzept sehr einfach um eigene Mechaniken erweitern. Je nachdem, welche Stimmung man erzeugen will. In einem Horror-Abenteuer verlieren die Charaktere vielleicht pro Versuch, ihr Ziel zu erreichen an geistlicher Gesundheit und drohen wahnsinnig zu werden?

Die Möglichkeiten sind endlos.

Alles eine Frage der Größe

Das Schöne bei dieser Methode ist, dass sie sich beliebig skalieren lässt. Ab dem Moment, ab dem die SL eine Reise leiten muss, bei der die Charaktere durch eine unübersichtliche Umgebung navigieren müssen, lässt sich diese Methodik anwenden. Das gilt für eine unterirdische Tempelanlage, ein Schlachtfeld, sowie für die unendlichen Weiten eines unerforschten Ozeans, welchen die Gruppe mit einem Segelschiff bereist.

Ich hoffe, ich konnte mit dieser Erklärung so mancher SL eine neue Perspektive auf das Thema geben und ihnen eine weitere Alternative anbieten, wie sich solche Abenteuer leiten lassen.

Spieler:innen geht es bei Reisen darum, ein Gefühl für ihre Umgebung zu bekommen, Geschichten zu erleben, Kämpfe zu schlagen, überrascht zu werden und das Risiko zu verspüren, eben nicht in einer gewohnten und sicheren Umgebung zu sein: Survival eben.